Aus meinem Text für die Splatting Image: “Death in the Land of the Encantos nimmt die Verwüstungen des Taifuns Durian zu Füßen des Vulkans Mayon als Ausgangspunkt. Anfang Dezember 2006 starben mehr als 1000 Menschen an den Folgen der Naturkatastrophe auf den Inseln im Umfeld des Vulkans. Nur eine Woche nach der Katastrophe begann Diaz vor Ort zu filmen, mit digitaler Kamera und minimalem Büdget: Weniger als 10000 $ kostete der neunstündige Film insgesamt. Die Zerstörung prägt den Film in jeder Hinsicht. Die Bilder zeigen eingestürzte Wellblechhütten, Trümmer, Kleidungsfetzen, aber auch umgestürzte Bäume, Flüsse, die sich neue Wege gebahnt haben, Schlamm, Dreck. Kultur und Natur sind gleichermaßen am Boden. Der Film ist dann eine einzige, delirierende und dennoch konsequente Öffnung hin auf dieses zerstörte Land. Death in the Land of the Encantos wählt, ganz im Gegensatz zu den streng strukturierten, exakt konstruierten übrigen Filmen des Regisseurs, die sich nach der Länge der einzelnen Videotapes, aus denen sie bestehen, strukturieren, dafür eine fast völlig offene Form. Ausgehend von immer wiederkehrenden Trümmerbildern in grobpixeligem Schwarz-Weiß und dem diaztypischen Antihelden Benjamin, einem Dichter und politischen Aktivisten, der aus dem russischen Exil in die Philippinen zurückgekehrt ist, unternimmt der Film Reisen in die unterschiedlichsten Richtungen und entfernt sich doch nie von seinem Anliegen. Mal bewegt sich Diaz in Richtung auf dokumentarische Formen, mal in Richtung Selbstreflexivität, einmal sogar zurück zum Vorgänger Heremias (siehe SI 74), dann wieder unternimmt er dialogreich Ausflüge in diverse Diskursfelder, vor allem in die politische Geschichte und Gegenwart der Philippinen, aber auch in die Philosophie und in die Kunstgeschichte. Er erkundet andere Räume, naheligende und weniger naheliegende, Russland besipielsweise, das freilich nicht das echte Russland ist, sondern nur die Projektion eines Russlands, ein “country built against the sky”, schließlich auch und vor allem die philippinische Hauptstadt Manila, deren bedrohlichen, düsteren und menschenfeindlichen Hochhäuser eine grundsätzlich andere, vertikale Raumorganisation etablieren. Immer wieder bewegt sich Death in the Land of the Encantos gleichzeitig hin zu den zahlreichen Frauenfiguren des Films, zu Frauen die teilweise ineinander verschwimmen und deren ontologischer Status nicht in allen Fällen gesichert ist. Diese in sich jeweils sehr unterschiedlichen Bewegungen hin zu den Frauen sind vielleicht das beeindruckendste an diesem unendlich beeindruckenden Film. Lav Diaz scheint den Versuch zu unternehmen, so viel wie nur möglich auf diese Frauen zu projizieren und doch übt er dabei in keiner Weise ungebührlich Macht über sie aus. Gleich zu Beginn schneidet Diaz von einer langen Einstellung, die sich unsicher tastend über die verwüstete Landschaft bewegt auf eine nackte Frau, die im Bett liegt. Die Kamera schwebt dann mit genau derselben Unsicherheit und Vorsicht über dem Körper diese Frau, das existentielle, chaotische Elend wird umgeschrieben auf makellose, glänzende Hautpartien. Später tauchen andere Frauen auf, Benjamins Mutter zum Beispiel, dann eine Russin, eine tote Schwester, die Ex-Freundin Catalina und noch ein paar weitere und irgendwie scheint der mythische, brutale, wunderschöne Vulkan Mayon auch mit diesen Frauen, oder zumindest mit einer der vielen Ideen von Weiblichkeit, die der Film entwirft, zu tun zu haben. (Es gibt, und bei weitem nicht nur pro forma, auch feministische Diskurse in diesem Film und wie auch in anderen Diaz-Filmen ist die einzige Figur, die einen zumindest teilweise produktiven Weltbezug errreicht, eine Frau, nämlich Benjamins Ex Catalina, verkörpert von Angeli Bayani, die ein Jahr später in Melancholia eine sehr ähnliche Rolle übernehmen wird.) Die ersten Stunden bewegt sich der Film frei durch Zeit und Raum, umkreist auf immer neuen Bahnen die reale Verwüstung, an der er sich entzündet. Doch je länger er dauert, desto mehr verlagert sich diese urwüchsige Dynamik auf Benjamin, dem im letzten Drittel dann ein Martyrium bereitet wird, das in der Filmgeschichte seinesgleichen sucht. Der eigentliche Beginn dieses Martyriums ist, nach einer längeren Passage, in der er ganz aus dem Film verschwindet, eine unglaublich intensive Szene in Manila. Zunächst führt der Film die Stadt als einen Ort der bedrohlichen, grausamen Vertikalität ein, die erste Einstellung in Manila zeigt eine Straße, die an drei Seiten von finster glänzenden Hochhäusern umgeben ist, die jegliches Leben, jede Bewegung im Keim und in ihren Schatten ersticken. Nach einer kurzen Passage mit bewegter, desorientierter Kamera durch diesen vertikalen Alptraum findet der Film Benjamin in einem Cafe, im Hintergrund vorbeifahrende Autos, auf der Tonspur Straßenlärm. Benjamin sitzt und liest, irgendwann setzt sich ein weiterer Mann zu ihm, der sich als ein Mitarbeiter der Geheimpolizei entpuppt, der Benjamin einst folterte. Es folgt ein verbitterter und unerbittlicher Schlagabtausch, Benjamin wirft seinem Peiniger seine ganze Verzweiflung und den letzten Rest an Hoffnung, der ihm noch geblieben ist, entgegen, er appeliert an einen Rest an Humanität, den er in seinem Peiniger vermutet, doch alles vergeblich. Sein Gesprächspartner macht sich nicht einmal die Mühe, auf moralische Appelle zu antworten, er bleibt stumpfes Vollzugsorgan des brutalisierten Staatsapparates und wiederholt ständig dieselben Drohungen. Als der Geheimpolizist schließlich nach einem Gespräch, das im Grunde gar keines war, verschwindet, haben sich die Lichtverhältnisse geändert. Benjamin ist nur noch eine schwarze Silhouette vor dem Hintergrund des hell erleuchteten Fensters, weiße Lichtreflektionen schimmern gespenstisch und schieben sich vor diese Silhouette. Im Grunde stirbt Benjamin bereits in dieser Einstellung, durch den restlichen Film bewegt er sich wie ein Geist. Endgültig zu diesem Gespenst wird er später (bei Lav Diaz muss so etwas immer gelesen werden als: Stunden später) in Catalinas Haus, im Wohnzimmer. Am Ende einer weiteren verstörenden Szene bewegt sich der vom Schicksal gezeichnete Benjamin zum Fenster, über sein Gesicht legt sich ein weißer, kalter Lichtstreifen wie eine Totenmaske. Noch ein letztes Aufraffen ist ihm gegönnt, in seltsam aufrechter Körperhaltung unterhält er sich mit seinem Jugendfreund und ewigen Kontahenten Teodoro und breitet vor diesem sein ganzes Martyrium aus. Am Schluss dieses Gesprächs ist nicht nur Benjamin am Ende, sondern auch Teodoro, der sich bis dahin in Indifferenz geflüchtet und damit gut gefahren ist, der aber in dieser Szene zu einem zweiten Benjamin wird und nach dessen Tod dessen Erbe antreten kann und muss. Nun ist Benjamin bereit, ganz und gar und in jeder Hinsicht zu sterben. Der Film figuriert diesen Tod multiperspektivisch und multimodal. Eine längere Passage, in der Catalina und Teodoro Benjamin gegenüber einem zynischen Reporter verteidigen, verhindert ein Abgleiten in Fatalismus, unendlich bitter und verheerend sind diese letzten Stunden dennoch. Und erst recht die allerletzte Szene, eine schreckenerregende Miniatur irgendwo zwischen ins durch und durch Finstere gewendeter homoerotischer S/M-Fantasie (die Frauen sind sehr radikal abwesend in dieser letzten Szene) und klinisch reiner Grausamkeit (an der Wand hängt ein Yuppie-Wandspiegel). Tiefschwarz und wie der gesamte Film sowohl physisch wie auch psychisch weit jenseits der Schmerzgrenze.”